Sonntag, 8. Oktober 2017

Kassel

Wir fahren zur Documenta

Anfang September, der Hänger ist voll gepackt mit Skulpturen und Sackkarren.
Das Auto voll mit Freunden. 
Bei schönstem Sommerwetter fahren wir in die Kunststadt Kassel.



Erinnerung.

Damals vor fünf Jahren, als ich mit diesem Projekt schwanger ging, hatte ich auch diese Idee: Der Abschluss der Reise der Wartenden ist die Documenta.
Für mich herausfordernd, und auch in eine Welt gegriffen, von der ich keine Ahnung habe.
Ich wollte mit den Skulpturen die Welt bereisen, wollte erleben und  auf die Grundemotionen der Menschen jenseits aller kulturellen oder religiösen Prägungen zeigen, auf die conditio humana. 
Wir sind einander sehr ähnlich, wir Menschen."( Zitat aus Idee, diese Bloogseite, 2013 geschrieben)
Mein Traum:
Ich sah die Reise der Wartenden durch die Länder Europas fahren.
Ich sah verbindende Begegnungen mit den Menschen,
die Erinnerungen an uns und jeden selbst hervorbringen.
Ich sah uns Frieden schöpfen. 
Und ich sah mich, dieses zu dokumentieren. 
Ich sah mich ganz nah im und am Leben, mit Kunst wirkend. 
Was kann ich denn sonnst tun, für diese Erde und dem Leben darauf?

Ich hatte keine Ahnung wie man sich zur Documenta bewirbt?
Muss ich mich groß machen? Muss ich Lärm machen? Dass man mich mit meiner Arbeit sieht? 
Ich bewerbe mich. Meine Versuche mit Mail und Brief und Telefon scheiterten schnell.
Ich hatte nicht genug Mut.
Fühlte mich nicht stark und gut genug für diese Welt der Kunst.

Im Frühjahr 2017 begann die Documenta und ich hörte und sah was die Künstler machten und was der Kurator wollte.

Ich ärgerte mich so richtig.
Wusste doch, dieses Projekt hätte jetzt dort sein müssen. Absolut wichtig und richtig wäre es gewesen.

Eine Freundin bestärkte mich .........immer wieder.
Christina, los, jetzt, mach das, fahre nach Kassel, tu es einfach. 

"Du wirst es wissen, wenn du es tust, warum du es machst."

So hab ich mich entschlossen und wir sind hingefahren und angekommen.

 

Wir packen aus, vor der Gottschalkhalle. 
Wir sind da.
Mitten in der Documentastadt.
In der Nordstadt fangen wir an und gehen los. 
Hm, wo sind wir wir hier?
Auf einer der Strecken die die Kunstorte verbindet. Aber zugleich fühl ich mich wie in Arabien, Japanien, Documentarien, Indien, sehr international ist dieses Viertel.
Wir sind sehr langsam unterwegs, sind immer wieder im Gespräch.
Wir "beleben das Geschäft".
Denn überall müsste Kunst zu sehen und lebendig sein in einer Kunststadt Europas für 100 Tage.
Ich glaube, wir tun das was ihr vorgebt zu sein, Anzeiger, Kritiker, Kontakter, mitten im Leben, ohne Begrenzung.




Wir sind alle im Gespräch. Kunst, Mensch. Mensch Kunst. Mensch Mensch. Mensch.





Hier ein Interview unterwegs in Kassel aufgenommen von Ulrike Sebert

DIE REISE DER WARTENDEN IN KASSEL

Sprecherin
Vor der Gottschalkhalle in Kassel, einem documenta-Standort in der Nordstadt stehen fünf Holzfiguren.  Sie gehören zum Projekt „Die Reise der Wartenden“ der Künstlerin Christina Rode aus Vorpommern. Die Wartenden, das sind fünf lebensgroße Holzskulpturen, die Namen tragen wie „Für die Ungeduldigen, die Ängstlichen, Für die Söhne, die Töchter und für die Tragenden“. Sie sind Abbilder menschlicher Gefühle, Erfahrungen und Denkmuster. Zwei ihrer Skulpturen „Für die Mütter“ und „Die wirre Glut“ sowie einen Stuhl hat die Künstlerin zu Hause gelassen.

O-Ton Christina Rode
Ich gehe damit in die Welt, um Berührung zu schaffen. Womit wollen wir uns verbinden, womit wollen wir berührt werden. Wo berühren wir uns und wo kommen wir ins Gespräch miteinander. Wieviel schauen wir uns in die Augen, wieviel haben wir zu tun miteinander, und einfach zu merken okay, wir haben was miteinander zu tun. Und das über Kunst zu machen finde ich einfach mal genial.

Sprecherin
Sie waren schon in Potsdam, Wuppertal, Rostock und Stettin, haben gewartet auf öffentlichen Plätzen, in Arbeitsämtern und an Bushaltestellen, haben das Meer gesehen und Grenzen überschritten. Die Figuren sind unterschiedlich groß und unterschiedlich schwer. Sie werden auf Sackkarren bewegt und dafür brauchen sie Paten. Eine davon hier in Kassel ist Carola Schure. Sie ist mit der Künstlerin aus Greifswald gekommen.

O-Ton Carola Schure
Ich finde es gut, dass Kunst zu den Leuten geht, weil die Leute manchmal nicht wissen, wo sie hinsollen, Menschen oft damit nicht in Berührung kommen. Und ich liebe diesen Zufall, ich liebe es, zufällig mit Leuten Kontakte zu machen, die man sich nicht vorgenommen hat, die nicht geplant sind.
Sprecherin
Eine Besucherin nähert sich neugierig.

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O-Ton Besucherin
Spannend find ich das. Und ich finde das als Gemeinschaftsarbeit sehr schön, dass die Künstlerin Mitstreiter gefunden hat, die ihr helfen. Und die Aussage von Wartenden spricht mich an, worauf warten wir, wer wartet, warum wartet er, find ich interessant.

O-Ton Carola Schure
Es sind viele Leute, die das ignorieren und weitergehen und es ein paar, die feststellen, oh da steht was, da geh ich mal ran, bin da mal neugierig. Es gab schon welche, die hat das sehr interessiert und fanden das als eins der Highlights der documenta, was ich sehr lustig finde.
Sprecherin
Christina Rode ist in den Stadtplan vertieft.

O-Ton Christina Rode
Meine Idee ist die, wir sind jetzt Gottschalkhalle, wollen wir mal die Hauptstraße langgehen und zum Königsplatz gehen. Das ist ein schöner runder Platz. Da kann man die super integrieren in das Geschehen. Da ist immer viel los. Und dann möchte ich noch gern, dass wir uns Richtung documenta-Halle bewegen, auch ein bisschen am Wasser lang, dann Richtung Neue Galerie gehen bis hin zu den Weinbergterrassen, da ist es doch bestimmt schön. Schauen wir mal, wo es uns hintreibt und wieweit wir kommen.
Sprecherin
Die Reisegruppe setzt sich in Bewegung. Fünf Paten schieben die Wartenden durch die Nordstadt, am Campus entlang Richtung Zentrum. Gehen über Nebenstraßen. Leute halten an, machen Fotos, stellen Fragen. Viele berühren spontan die Figuren. Achmed Achmatovic kommt gerade aus dem Islamischen Zentrum in der Bremer Straße und ist überrascht. Er lebt seit 1993 in Deutschland.

O-Ton Achmed Achmatovic und Christina Rode im Dialog
Schön, einfach schön, wunderschön. Das ist was Neues für mich, was ich nicht kannte. C: Das ist die Reisende der Wartenden, die besteht aus acht Skulpturen, heute sind fünf davon in Kassel.  A: Oh die dahinten ist gefährlich, die da, da werde ich mich nicht so einigen, die ist problematisch.
Sprecherin
Er zeigt auf die Postkarte, die Christina Rode ihm gegeben hat.
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O-Töne abwechselnd
C:Weil sie nackt sind? A: Ja genau, das verletzt diese religiöse..C: Aber wir leben hier in Deutschland, wir dürfen hier nackt sein. A: Wir dürfen hier nicht nackt sein, der Gott hat das verboten, das haben wir uns nur erlaubt, das ist etwas anderes. C: Es geht um Kunst. A: Hier war alles okay, aber diese hier ist schon ein bisschen…C: Wissen Sie, wie die heißt? Für die Mütter. Die steht für die Mütter, sie ist die Gebende. A: Das ist gut, aber das ist nach meiner Meinung nicht zugelassen. C:: Die Kinder, die kommen dann immer an und wollen anfassen und wollen dann streicheln, die nehmen sofort Verbindung auf. Gehen sofort in Verbindung damit. Das ist gar nicht erotisch oder sowas, sie ist einfach warm, weich, gebend. Er: Man sieht hier Geschlechtsteile, was# von Anfang der Menschheit der Prophet Adam verboten hat und das darf man nicht sehen. Auf dieser Welt nicht, vielleicht im Himmel, das wär ein bisschen anders. C: Okay können wir einfach akzeptieren.

O-Ton Christina Rode
Von der Nordstadt gehen wir ins Zentrum, sind durch das Ausländerviertel gekommen, treffen viele Araber, Afrikaner, Türken. Und ich finde das Interesse sehr stark. Es sind natürlich viel Leute hier und es gibt sicher genauso viele Leute, die vorbeigehen und denken, oh was steht mir hier im Wege rum, aber wir werden sehr viel angesprochen und sehr viel wird geschaut#. Bin ganz erfrischt, wie die Wirkung hier ist.

Sprecherin
Die Reisegruppe macht gerade Pause und steht vor einem Geschäft in der Unteren Königsstrasse, kurz vor dem Königsplatz. Sie sind jetzt fast zwei Stunden unterwegs Die Künstlerin schaut, was passiert. Menschen kommen ins Gespräch. Plötzlich läuft eine Frau aus der Gruppe auf sie zu und weist sich als Ordnungsamt der documentastadt Kassel aus. Die Figuren sollten sofort zurückgebaut werden. Sie würde sie auch begleiten bis zum Auto zurück. Fünf Minuten zum Kaffee trinken hätten sie noch, aber bitte gleich in der Nähe. Die Figuren werden in einen Dönerladen geschoben, stehen an Tischen oder irgendwo im Raum, wie zufällig. Menschen kommen und gehen. Die Frau vom Ordnungsamt verweilt noch lange in der Nähe.

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O-Ton Christina Rode
Wir sind sozusagen geflüchtet. Wir haben Asyl gefunden in einem Kebabladen.#Wir sind eine unangemeldete Kunstaktion und dürfen unser Projekt nicht weitermachen. Wir müssen zurück, einpacken. #Ich find das einfach schräg, dass man das so macht, ich bin in vielen Städten gewesen, brauchte es nirgendwo, mich anzumelden.# Das ist das erste Mal.

O-Ton Carola Schure
Also das regt so meine innerliche Revoluzzerin an, und mir nicht sagen zu lassen, ich hab fünf Minuten Zeit zum Kaffee trinken und dann begleitet man mich zu meinem Auto, so wo ich denke, eh hallo, sind wir jetzt in einem Polizeistaat, also muss ich begleitet werden, dass ich es wieder zum richtigen Ort bringe, da merke ich so, da gibt es einen großen Widerstand in mir und da merke ich so, da gibt es eine große Energie, das zu umgehen.

O-Ton Christina Rode
Okay, sie sind aufmerksam wegen der documenta, sie wollen vielleicht keine Konkurrenz, keine andere Kunst. Eigentlich müsste die ganze Stadt brennen vor lauter Energie, vor lauter Kunstprojekten, die aktiviert werden, statt es zu reglementieren müsste man es eigentlich produzieren.

O-Ton Mohamed
Ich bin Mohamed. Gute Idee Gehabt. Gefällt mir. Sehr schön, gute Idee für Leben . Frau hat gesagt, wie die frau ist schwanger, sie hat neues Leben in Bauch, gefällt mir. Und ich habe schon gefragt, kann ich das mal besuchen?
Sprecherin
Der junge Mohamed aus Kurdistan ist ganz begeistert, möchte gern ein Foto zusammen mit der Künstlerin und der Tragenden. Der Ladenbesitzer fragt, ob eine Figur dableiben kann.

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O-Ton Carola Schure
Die zwei, drei Stunden waren total interessant, auf dem Weg mit den Leuten in Kontakt zu kommen, wenn man stehen bleibt, bleiben die Leute stehen oder im Vorbeigehen stehen sie da und sind verwundert, was sie da gerade sehen, wenn man diesen Moment ausnutzt und fragt, gefällt Ihnen das, kommt man total gut ins Gespräch mit den Menschen, man kommt eigentlich nicht dahin, wo man hinwill, es dauert.

Sprecherin
Christina Rode und ihre Figuren bewegen sich nach dem Essen langsam zurück zur Gottschalkhalle. Es ist 16.00 Uhr und viele documenta-besucher sind unterwegs, mit denen sie noch ins Gespräch kommt. Für die Künstlerin bleibt ein warmes Gefühl, als ihre Wartenden vor dem Einpacken noch einmal auf dem Hof vor der Gottschalkhalle stehen und Menschen von ihnen berührt weitergehen.

O-Ton Christina Rode
Es gibt ein Stück Stolz, weil ich weiß, die Skulpturen sind gut. Und Stolz, dieses Projekt zu machen. Mutig zu sein, mich immer wieder zu stellen mit dieser Arbeit.